Meine Familiengeschichte

Die Wurzeln der männlichen Hesse-Linie verlieren sich – angeblich wie die von Hermann Hesse – vor einigen Generationen in einem Gasthof im Sachsenwald. Interessanter sind jedoch meine fast ebenso direkten Horadam-Vorfahren:

Ein Horadam war "Schreiber" von Otto von Habsburg, als dieser als "König Otto" nach Griechenland ausgeliehen wurde, bis die Griechen den fremden König wieder verjagten. König Ottos Schreiber blieb jedoch in Griechenland und gründete dort eine angesehene Diplomaten-Familie. Als ein echter Horadam-Onkel von mir tauchte sein direkter Nachkomme als Generalkonsul von Griechenland in Düsseldorf auf und wurde danach griechischer Botschafter in den Niederlanden. Ein anderer Horadam wurde als "Georg von Horadam" General in Bayern. Andere Horadams zogen in die USA und wurden dort erfolgreich. Sie suchten nun nach ihren deutschen Wurzeln.

Meine direkten Hesse-Vorfahren sind weniger vielschichtig. Es waren Chemiker der wissenschaftlichen Frühzeit.
Dr. Oswald Hesse, mein Urgroßvater, war als führender deutscher "Chinologe" des neunzehnten Jahrhunderts bekannt. In Feuerbach bei Stuttgart gelang es ihm, Chinin, das Malaria-Heilmittel genießbar zu machen. Eindrucksvolle Preise und Dokumente sowie ein Straßenname in Stuttgart-Feuerbach würdigten seine Leistung.

Als die verschwägerten Farben-Chemiker und gemeinsamen Gründer der Künstlerfarbenfabrik H. Schmincke & Co., Hermann Schmincke und Josef Horadam, einen Nachfolger suchten, fanden sie dafür Horadams Neffen, Dr. Julius Hesse, den Sohn von Dr. Oswald Hesse.
Er hatte eine der Töchter des jüdischen Mühlheimer Bankiers Hanau geheiratet. Dieser war aber nicht begeistert, dass sein Schwiegersohn "nur" Angestellter wurde und verhalf Dr. Julius Hesse mit einer großzügigen Mitgift dazu, die Mit-Eignerschaft der Firma Schmincke-Künstlerfarben zu erlangen. Die Nachfolger der Familien Schmincke und Horadam ließen sich später ausbezahlen. Somit wurde die Familie Hesse Alleineigentümerin der Fa. Schmincke-Farben. Dr. Julius Hesse blieb den wissenschaftlichen Neigungen seines Vaters treu und leitete das Haus Schmincke aus dem Labor heraus. Das "Kaufmännische" erledigten leitende Angestellte.
Im ersten Weltkrieg wurde die Farbenfabrik als Lazarett genutzt. Meine Großmutter Gerta Hesse, geborene Hanau, betreute dort Verwundete, während ihr Mann, Dr. Julius Hesse, dem deutschen Kaiser als Artillerie-Hauptmann "diente". Gleichzeitig bemühte sich mein Großvater – wenngleich damals vergeblich – um ein friedliches Miteinander der traditionellen Feinde, Frankreich und Deutschland: Er gründete im Jahr 1912 in Düsseldorf  einen Deutsch-Französischen Literaturkreis im Bemühen, dem Frieden zu dienen und nicht mehr dem gegenseitigen Töten. Dafür ernannte ihn Frankreich zum "Officier d'Académie" und verlieh ihm den schönen Palmenorden auf violettem Ordensband. Mein Großvater, dessen Vornamen Julius ich als zweiten Vornamen schätze, trug diese Auszeichnung demonstrativ neben seinen kaiserlichen Kriegsorden – als Zeichen des Friedenswillens. Hier das echte Ordensband auf einer Kopie der Ernennungsurkunde (das Original der Urkunde ist verschollen).

Orden mit Urkunde von Julius Hesse

Ob meine Liebe zu Frankreich über ein "morphisches Familienfeld" mitgeprägt wurde, bleibt offen. In jedem Fall hätte ich diesen Großvater gerne kennengelernt. Leider verstarb er jedoch einige Wochen vor meiner Geburt.

Im Jahr 1932 hatte er als Mitglied des Düsseldorfer Industrie-Clubs die dortige Rede Adolf Hitlers gehört und sogleich vorausahnend gehandelt: Er vereinbarte mit den USA-Importeuren der Schmincke-Künstlerfarben, der Familie Grumbacher, die Gründung eines Schmincke Tochter-Unternehmens in New York – mit je 50 % Anteil.
1933 schickte Dr. Julius Hesse seinen Sohn, Ernst Oswald Hesse zu diesem Zweck in die USA. Seine Verlobte, meine Mutter, Ilse Renard, folgte kurz darauf. Sie heirateten in New York, und im April 1937 wurde ich geboren. Drei Monate später war ich wohl transportfähig und meine Familie fuhr zurück nach Deutschland, um meine dort inzwischen verwitwete jüdische Großmutter soweit möglich zu schützen. 

Völlig anders (oder vieleicht auch "morphisch" geprägt ?) ist meine zweite Familien-Bindung mit Frankreich. Die Familie meines Großvaters auf mütterlicher Seite, Walter Renard, stammte aus Frankreich. Sein direkter Vorfahre, Roques Renard, war in einer der französischen Revolutionen aus Auxerres an den Rhein geflohen und lebte in Deutschland zunächst als Gärtner. Über seinen Ursprung konnte ich in Auxerres nichts erfahren, also wissen wir auch nichts über seine Fluchtgründe. Alle zivilen Unterlagen seien durch die Revolutionswirren verloren, sagte man mir in Auxerres. Ich weiß jedoch, dass dieser andere Großvater, den ich noch lebendig erlebt habe, trotz sehr "gepflegter" französischer Lebensart zum Frankreich-Gegner geworden war und in Neuss als Vorsitzender der Zentrumspartei den deutsch-nationalen Rufen der Nationalsozialisten erlag. Er überlebte den zweiten Weltkrieg als Munitions-Hersteller und NSDAP-Mitglied. Immerhin hat er in seiner braunen "Blockwart"-Uniform in der Kristallnacht das Haus meiner verwitweten jüdischen Großmutter in Düsseldorf vor den NAZI-SA-Horden geschützt, bis es ihr schließlich mit Hilfe von Schweizer Diplomaten und einem dafür geworbenem Schweizer Ehemann gelang, nach Genf zu fliehen. Diesem lebensrettenden Schweizer blieb meine Großmutter lebenslang freundschaftlich verbunden – auch als sie nach dem zweiten Weltkrieg wieder nach Düsseldorf zurückkehren konnte. 

Als "Vierteljude" hatte ich im bürokratischen NAZI-Deutschland (anders als in Frankreich!) nichts zu befürchten. Mein "halbjüdischer" Vater konnte sich, als es für ihn in Deutschland lebensgefährlich geworden war, nach einer Warnung eines sich der schrecklichen Zeit bewusst gewordenen Gestapo-Mannes in den Untergrund flüchten. Meine Mutter hielt im Krieg loyal zu meinem Vater und konnte ihn zunächst schützen. Erst nach dem Krieg trennten sich meine Eltern. Als Kind war mir die ganze Dramatik der damaligen Zeit natürlich nicht bewusst. In ein Internat (Salem) "abgeschoben" (wie es mir erschien), wurde mir das meiner Mutter gegenüber sehr undankbare Verhalten meines Vaters  später voll bewusst. Ich musste, wie viele andere Kinder meiner Generation auch, unterschiedlich dramatische  "Kriegsfolgen" verarbeiten. Dankbar bin ich aber nach emotional schwierigen Zeiten – durch Salem – und auch durch andere geistige Hilfe, meinen Weg in "EINEr Welt in Vielfalt" schließlich DENNOCH gefunden zu haben.

Peter Hesse

Familien-Unternehmer

Mein Engagement war zunächst nicht gesellschaftspolitisch
– sondern nur gesellschaftlich im traditionellen Sinn.

Nach traditionelle Werte prägender Schule und einem von Internatszwängen befreiten Jahr als Bankvolontär in Genf wollte ich in Paris Kunst studieren. Durch väterlichen Beschluss wurde daraus Betriebswirtschaftslehre (BWL) in München. Aus Einladungen zu reizvollen Festen wuchs mein Wunsch, selbst Feiern zu organisieren. Dies begann mit einer von mir organisierten Floßfahrt auf der Isar und jährlich wechselnden eigenen Tanzfesten aller Art – alles von traditioneller Jazzmusik begleitet und ziemlich oberflächlich – was mir damals normal erschien.

Schließlich konnte ich mein BWL-Studium DENNOCH mit gutem Erfolg abschließen und begann ein erstes Jahr als „Junior“ mit zumeist nur theoretisch sinnvollen Initiativen im traditionellen, von meinen Vorfahren 1881 gegründeten Familien-Unternehmen, der Künstlerfarbenfabrik H. Schmincke  & Co. in Düsseldorf.

Dort wurde mir nach einem ersten Jahr in der Praxis schnell bewusst:
Was ich in München gelernt hatte, nämlich fröhliche Feste zu organisieren, war schön, aber zunächst kaum sinnvoll im neuen Berufsleben als BWL-Marketing-Novize im Familien-Unternehmen. 

Zuflucht bot der "Bundesverband Junger (Familien)-Unternehmer (BJU)“. Wir lernten miteinander und voneinander. Mit meiner Wahl zum BJU-Regionalvorsitzenden in Düsseldorf begann neues Lernen – ein nützliches und Freude machendes informelles Zweitstudium:
Die deutschen Regionalvorsitzenden bildeten einen "Arbeitskreis", der neue Seminarformen mit zumeist internationalen Fachleuten für unsere deutschen BJU-Mitglieder testete. Es waren Themen wie Gruppendynamik, freie Rede, Förderung der Kreativität – alles Inhalte, die uns damals das BWL-Studium nicht geboten hatte.

Dies wurde zum Einstieg in ein eigenes – damals in Deutschland neues – Berufsfeld als Management-, Marketing- und Kreativitäts-Trainer, heute auch "Coach" genannt.

Die ergänzenden didaktischen Fähigkeiten ließen sich in den Sommerferien in England in den Colleges der großen Universitäten erlernen. Nachhaltig beeindruckte mich dort auch der von Butlern um 6 Uhr früh servierte „early morning tea".

Im neuen Trainer-Beruf konnte ich am Tag fast genau so viel verdienen wie bei meinem Vater im Monat. Außerdem und vor allem: Es war etwas Eigenes und nicht nur Ererbtes. Nachdem schließlich die Fa. Bayer mein Marketing-Seminar zweimal für ihre Führungskräfte getestet hatte, bot mir der Bayer-Vorstand an, in diesem Traditionsunternehmen erstmalig ein Marketing-Management-System aufzubauen. Das war ein verlockendes Angebot – aber dafür hätte ich ein Bayer-Mitarbeiter werden müssen.

Im Jahr 1970 kam es darum mit meinem Vater zu einer Vertragsverhandlung.
Er hatte einen Anwalt; ich auch (einen Schul- und Studienfreund, Dr. Claus Stein).

Das Ergebnis:

Ab 1. Januar 1971 wurde ich – zunächst neben meinem Vater – geschäftsführender Gesellschafter der Firma "H. Schmincke & Co.– Fabrik feinster Künstlerfarben". Damit konnte ich meine auf echtem Qualitätsbedarf aufbauende, nicht-manipulative Marketing-Konzeption behutsam durchsetzen und gleichzeitig mit einigen Gleichgesinnten für meine partizipativen gesellschaftspolitischen Visionen werben.

Das war auch der Beginn meines konkreten gesellschaftspolitischen Engagements.